„O Jung, nu praot men Platt met mi …“
Vortrag von Prof. Dr. L. Kremer über den Dialektschwund im Münsterland
Vortrag von Prof. Dr. L. Kremer über den Dialektschwund im Münsterland
Am 19. Juni 2007 hielt der Vorsitzender GhL, Prof. Dr. Ludger Kremer im Borkener Kreishaus einen Vortrag über das Thema „O Jung, nu praot men Platt met mi … – Über den Schwund des Plattdeutschen im Westmünsterland“. Dabei stellte Prof. Kremer den gut 40 anwesenden Gästen auch das jüngste Buch der Reihe „Westmünsterland. Quellen und Studien“ des Landeskundlichen Instituts Westmünsterland in Vreden vor.
Mit dieser Darstellung des Sprachwechsels vom Plattdeutschen zum Hochdeutschen als Alltagssprache am Beispiel des westlichen Münsterlandes möchten Prof. Kremer und seine Ko-Autorin Veerle Van Caeneghem einen Beitrag zur jüngeren niederdeutschen Sprachgeschichte liefern und damit nicht nur Linguisten ansprechen, sondern einen möglichst großen Leserkreis in der Region; sie haben sich deshalb um eine allgemeinverständliche Darstellung bemüht.
Seit geraumer Zeit zeichnet sich in Norddeutschland ein starker Schwund des Plattdeutschen ab, wenn auch mit gewissen regionalen Unterschieden. Innerhalb des westfälischen Raumes beispielsweise galt das Westmünsterland bisher als relativ konservativ, d.h. als dialektfreundlich. Dennoch haben frühere Untersuchungen bereits einen kontinuierlichen Rückgang in der Beherrschung und im Gebrauch des Plattdeutschen von etwa 30% pro Generation erkennen lassen. Diese Tendenz wird nunmehr durch die Ergebnisse der hier ausgewerteten jüngsten Befragung im Jahre 2001 unter den Eltern der Viertklässler an den Grundschulen des Kreises Borken bestätigt: Die heutige Kindergeneration erlernt von ihren Eltern kein Plattdeutsch mehr. Die Autoren berücksichtigen in ihrer Studie die Variablen Alter, Beruf, Geschlecht und Herkunft und deren Einfluss auf die Kenntnis des Plattdeutschen, auf seine Verwendung und seine Wertschätzung. Als Hauptresultat lässt sich festhalten, dass sich die Ablösung des Plattdeutschen innerhalb der Familie mit großer Geschwindigkeit vollzogen hat. Die jüngste Generation wächst kaum noch mit dem Plattdeutschen auf; eine gewisse passive Kompetenz erwerben nur noch die Kinder, deren Eltern bzw. Großeltern im Gespräch untereinander Platt sprechen.
Die beiden Autoren der Studie beschränken sich aber nicht auf eine soziolinguistische Analyse der letzten Befragung von 2001, diese findet sich erst im 5. Kapitel des Buches. Ziel der Studie ist vielmehr die Darstellung des Sprachwechsels im Westmünsterland und seiner Ursachen im gesamten 20. Jahrhundert. Dazu werden in den Kapiteln 2 bis 4 Einschätzungen durch Zeitzeugen in der ersten Jahrhunderthälfte und die Ergebnisse früherer Untersuchungen zum Verlust des Plattdeutschen ausgewertet.
Im Alltagsleben des Westmünsterlandes konnte man vor 100 Jahren noch davon ausgehen, dass das Hochdeutsche in alltäglichen, familiären Gesprächssituationen fehl am Platze und nur bei offiziellen und formellen Anlässen erwünscht war, und bis zum Zweiten Weltkrieg blieb das so beim größten Teil der Bevölkerung; der sprachliche Alltagsverkehr verlief auf Plattdeutsch. Heute lassen die sprachlichen Verhältnisse im westlichen Westfalen diese Feststellung längst nicht mehr zu: Zum einen beherrscht nur noch ein kleiner, stets weiter abnehmender Teil der Bevölkerung Plattdeutsch, und zum anderen geht sein Gebrauch auch bei aktiven Sprechern beständig zurück – auch in Alltagsgesprächen wird mehr und mehr Hochdeutsch verwendet. Und da die Eltern der heutigen Viertklässler fast ausschließlich auf Hochdeutsch mit ihren Kindern kommunizieren wollen bzw. können, sieht es inzwischen düster für das Fortbestehen des Plattdeutschen im 21. Jahrhundert aus.
In den beiden letzten Kapiteln befassen sich Kremer und Van Caeneghem mit der Einordnung ihrer Ergebnisse in überregionale Zusammenhänge, mit der Frage, ob es außer dem heimischen Plattdeutschen auch andere sprachliche Möglichkeiten zum Ausdruck regionaler Identität gibt, und wie es mit den Zukunftsaussichten des Plattdeutschen aussieht: Kann es überleben, und, wenn ja, auf welche Weise und in welcher Form, und was müsste dazu geschehen?
Mit diesem Buch ist die Diskussion über den Stand des Plattdeutschen als Alltagssprache in Westfalen und in ganz Norddeutschland ein gutes Stück weiter gekommen, es wird gewiss auch in den nächsten Jahren noch Stoff zur Auseinandersetzung und Anregungen für vertiefende Studien liefern. BW
Ludger Kremer und Veerle Van Caeneghem, Dialektschwund im Westmünsterland. Zum Verlauf des niederdeutsch-hochdeutschen Sprachwechsels im 20. Jahrhundert (Westmünsterland. Quellen und Studien, Band 17), Vreden: Landeskundliches Institut Westmünsterland 2007.